Geheime deutsche Wetterstation in der Arktis 1941
- 1945
für Luftwaffe, Kriegsmarine und Heer
Noch Jahre nach Kriegsende geisterten phantastische Berichte über geheime
deutsche Arktis-Stationen um die Welt. Atomwaffenversuche sollten dorthin ausgelagert
worden sein, die Steuerung der V-Waffen wäre in den unwirtlichen Eiswüsten ausprobiert
worden, und U-Boote hätten dort geheime Stützpunkte gehabt.
Wahr ist allerdings, daß es deutsche Wetterstationen gab, die im Schutze der Polarnacht
wichtige Daten in die Heimat funkten. Die arktische Wetterentwicklung zu kennen, eine
Prognose für operative Entscheidungen zu geben, war eine Grundvoraussetzung der Marine-
und Luftwaffenkriegsführung. Ob Durchbruch von Hilfskreuzern, Rückführung von
Blockade-brechern, Angriffe auf Geleitzüge, stets
waren Wettermeldungen zur Durchführung riskanter Unternehmungen vonnöten, oftmals
ausschlaggebend.
So hat der Einsatz von Meteorologen im Frühjahr 1943 ein deutsches Kampfgeschwader
gerettet, das sich im Anflug auf einen Eismeergeleitzug befand. Nach der Wettermeldung
über eine zur Küste ziehende Nebelwand, schweren Herzens zurückbeordert, konnten von 32
gestarteten Maschinen 30 Flugzeuge gerade noch rechtzeitig den Flugplatz erreichen,
während die beiden letzten Maschinen im Nebel an der Küste zerschellten. Die
verlustlosen Unternehmungen der Torpedoboote im Januar 1942 beim Mineneinsatz an der
englischen Westküste und im Bristolkanal waren nur möglich, weil von Grönland aus
tagelanger Nebel für das Einsatzgebiet angekündigt war. Aufgrund der Meldung:
"Klare Sicht im nördlichen Eismeer", machten gestartete Aufklärungsflugzeuge
den Geleitzug PQ 17 aus, von dessen 34 Schiffen schließlich 23 vernichtet werden konnten.
Anfangs stützte man sich auf Meldungen neutraler Arktisstationen, die aber ab Sommer 1940
nach und nach geschlossen wurden. Feste Stationen auf Grönland und Jan Mayen
einzurichten, scheiterte an britischen und amerikanischen Gegenaktionen. So setzte man ab
März 1940 zur meteorologischen Unterstützung von Seeoperationen Fischereifahrzeuge als
Wetterbeobachtungsschiffe ein. Insgesamt gab es im Laufe der Zeit neun Schiffe, die im
Nordatlantik oder Nordmeer stationiert wurden. Gleichzeitig allerdings waren nie mehr als
drei Schiffe auf See. Die Einsätze dauerten zwischen drei und 14 Wochen. Bei jedem Wetter
wurden zwei- bis viermal am Tag die meteorologischen und ozeanographischen Messungen
gemacht und verschlüsselt nach Deutschland gefunkt. Dieser Wetterfunk ermöglichte es den
Briten, die Wetterschiffe einzupeilen und sie aufzubringen. Ziel war die Erbeutung der
Funkschlüssel und einer Schlüssel maschine vom Typ "Enigma", griechisch:
Rätsel.
Zwei Wetterschiffe wurden Opfer der britischen Jagd: die "München" am 7. Mai
1941 nördlich von Istand und die "Lauenburg" am 28. Juni 1941 bei Jan Mayen.
Aufder "München" fielen dem Enterkommando die geheimen Schlüsselunterlagen in
die Hand, und zwei Tage später erbeuteten . die Briten auch eine Enigma auf U 110. Als
sich schließlich am 27. August 1941 U 570 ergab, konnten die Alliierten Gegenmaßnahmen
ergreifen, die zur Vernichtung der im Atlantik stehenden Nachschubschiffe und zahlreicher
U-Boote führte. Das Wettermeldenetz durch Schiffe war noch zu weitmaschig, weswegen ab
Sommer 1941 die Luftwaffe regelmäßige Meßflüge aufnahm. Langstreckenflugzeuge flogen
täglich auf drei festgelegten Routen Erkundung, wobei bis auf 6000 m Höhendaten mit
Druck- und Temperaturwerten per Funk nach Nordnorwegen übermittelt wurden. Nach Räumung
durch die Alliierten richtete die Luftwaffe im September 1941 auf Spitzbergen eine erste
Landstation ein. Bansö, über eine 1000-km-Luftbrücke aufgebaut, meldete mehrmals
täglich das Wetter, bis im Mai 1942 norwegische Truppen landeten und die vier
Wettertruppler kampflos das Feld räumten. Im Oktober gründete auch die Kriegsmarine an
der Westküste Spitzbergens ihre erste Landstation und richtete im Gebiet des
Liliehöck-Fjordes auf Nordspitzbergen "Knospe" ein, die nach Marinebrauch den
Namen des jeweiligen Leiters erhielt: R. Knoespel. 1915 in Barmen geboren, hatte er
Einsätze auf dem Wetterbeobachtungsschiff "Sachsen" mitgemacht und schließlich
dem MWD (Militärischer Wetterdienst Marine) landfeste Stationen vorgeschlagen, die vom
August bis zum folgenden Frühjahr arbeiten und durch die WBS (Wetterbeobachtungsschiffe)
versorgt werden könnten. "Sachsen" und "Homann" liefen am 24. 9. 1941
aus und erreichten Mitte Oktober den Crossfjord. Die Einfahrt war eine nautische Leistung,
weil wegen Fehlens genauer Seekarten bei dem unsichtigen Wetter nur Lot und Dünung
Anhaltspunkte lieferten. Die gesamte Ausrüstung mußte im Bootspendelverkehr mühsam an
Land geschafft werden. Während des Lageraufbaues in der Signebucht wurde die Umgebung
erkundet, dabei die wohnlich eingerichtete, aber verlassene Haupthütte des Fangstmannes
Johannsen aus Tromsö gefunden und der fluchtartig verlassene Hafen Ny Aalesund
inspiziert. Im nördlichsten Hotel der Welt, wo einst Amundsen und Nobile gewohnt hatten,
standen noch die Speisen auf dem Tisch und ein halbgarer Kuchen im Backofen. Die in Brand
gesetzten und noch glühenden Kohleschächte verbreiteten ein unheimliches Flackerfeuer.
Diese erste Landstation hat vom 15. Oktober 1941 bis zum 22. August 1942 allein 260
Radiosondenaufstiege durchgeführt. Kurz vor der Abholung ist Dr. Knoespel bei der
Sprengung der Station ums Leben gekommen. Die Rückführung des Wettertrupps, vorgesehen
im Mai 1942, erfolgte erst am 23. August durch U 435 KptLt Strehlow. Wegen Feindlage
führte der Rückweg um das nördliche Spitzbergen durch die Hinlopen-Straße. Sie war
vereist, weswegen Strehlow die Eisdecke in Tauchfahrt unterfuhr. U 435 ist demnach das
erste Unterseeboot gewesen, welches eine mit
Festeis verschlossene Seestraße untertaucht hat.
Ab Januar setzte die Kriegsmarine auch Wetterbojen ein. Der Schwimmkörper war zehn Meter
lang, die Antenne neun Meter. Die äußeren Maße waren durch die Torpedorohre der
transportierenden U-
Boote vorgegeben. Verankert in Wassertiefen bis 2000 Meter, sendeten die Geräte bis zu
drei Monate lang Luftdruck- und Temperaturdaten. Eine Parallelentwicklung waren die WFL,
die Wetterfunkgeräte/Land. Ihre Betriebsdauer betrug rund sechs Monate. Die Außenmaße
der Tonnen waren auch hier den Torpedorohren angepaßt. Neben Temperatur und Druck
sendeten diese Automaten auch die Winddaten. "Kröte" war der Codename der
automatischen Luftwaffenstation. Die Batteriekästen bildeten den Sockel für die
Wetterhütte, in der Luftdruck, Temperatur und Feuchte gemessen wurden. Die Antenne
spannte man zwischen zwei Fünf-Meter-Masten auf. Die Betriebszeit betrug rund drei
Monate. Sogar bis nach Amerika schob man einen Wettermeldekopf vor, 4500 Kilometer von
Mitteleuropa entfernt Im Oktober 1943 stellte U 537 in Labrador ein WFL an Land auf.
Automatische Stationen konnten jedoch nur Ergänzungen darstellen, so daß im Folgejahr
die ehemalige Knospe-Station wieder aktiviert wurde.
Leiter der zweiten Spitzbergen-Unternehmung war Dr. Franz Nusser, Mitbegründer des
Oesterreichischen Archivs für Polarforschung in Wien. Nach ihm wurde die Station
"Nußbaum" genannt. Beigeordnet waren der Wetterkartenzeichner Heinz Köhler und
der nautische Assistent Rudolf Garbaty. Die Funkstation betreute Maat Heinz Ehrich, der
bereits die längste Hilfskreuzerfahrt auf "Atlantis" mitgemacht hatte. Für den
Transport war U 377 vorgesehen. Unmassen von Material mußten deswegen in
U-Boot-Einheitskisten umgepackt werden, um sie durch Turm-, Kombüsen- oder Torpedoluk
(max.Breite 55 cm) zu mannen. Proviant, Winterkleidung, Werkzeug, Foto- und
Meßinstrumente, Schlitten, Skier, Funkgeräte, Waffen, Radiosonden, Zelte, Baumaterial,
die Liste nahm kein Ende. Schließlich konnte man sich im Bootsinnern mit Ausnahme der
Zentrale nur noch kriechend bewegen. Tauch- und Trimmversuche gelangen, das Boot blieb
gefechtsklar, eine Meisterleistung raffinierter Stauerei!
Am 7. Oktober 1942 lief KptLt Köhler aus Tromsö aus, stand drei Tage später im
Crossfjord, fand die Knoespel-Hütte unversehrt, half bei der Lagereinrichtung, fuhr
zurück und brachte Ende Oktober die restliche Ausrüstung nach. Ab 30. November wurden
die Wettermeldungen 063 planmäßig gesendet. Funkmaat Heinz Ehrich und Funkgefreiter
Eduard Müller vollbrachten das Wunder, aus Aluminiumgries und Ätznatron Wasserstoff für
die Ballonaufstiegeselbstherzustellen,da man auf U 377 keinen Raum mehr für
Wasserstoffflaschen gehabt hatte. Ab 15. Januar werden mangels Material die
Radiosondeneinsätze eingestellt. Durch Lufttransport soll Nachschub erfolgen, kann aber
wegen häufiger Polarstürme erst am 6. Mai durchgeführt werden. Eine FW 200 wirft die
Materialbomben und mit einem Strauß Weidenkätzchen die ersehnte Post ab.
Im Juni bombardiert ein britisches Flugzeug die Winterstation. Die Wettermänner wollen
sich auf die vorbereitete Sommerstation im Gletschermassiv zurückziehen, stoßen jedoch
auf eine norwegische Skipatrouille. Inspektor Köhler fällt im Kampf. Die Männer
schlagen sich zur Gegenküste durch und werden am 21. Juni in Magdalenenfjord von KptLt
Sickel auf U 302 abgeholt. Mit Ausdehnung des Krieges entfiel die Rücksichtnahme auf
amerikanische Schutzzonen, so daß die Einrichtung vorgeschobener Posten auf Grönland
versucht wurde. Die "Sachsen" brachte am 27. August 1942 den Wettertrupp
"Holzauge" durch das Packeis zur Insel Iilie Pendulum an der grönländischen
Ostküste. Bis zur Entdeckung am 11. März 1943 durch einen dänischen Spähtrupp hat
diese feste Landstation regelmäßig gefunkt. Als Gegenmaßnahme gingen auf Befehl des OKM
ein Trupp von sechs Mann zur Vernichtung der dänischen Wetterstation auf der Ella-Oie
vor. Bei diesem Einsatz, der von Dr. Weiß geleitet wurde, legte der Trupp unter
härtesten Wetterbedingungen eine Gesamtstrecke von 1100 km in 40 Tagen zurück.
Als am 25. Mai amerikanische Bomber die Wetterdiensthütte mit allen Instrumenten
zerstört hatten, holte auf einen Notruf hin ein Flugboot am 17. Juni 1943 den Wettertrupp
in die Heimat. Zurück blieb
eine Stationsruine und das schwarzrandige Schmelzloch der in Brand gesetzten
"Sachsen".
Da es ab 1943 schwierig war, geeignete Teilnehmer für die Arktisunternehmungen zu finden,
wurde an der Schneekoppe das Ausbildungslager "Goldhöhe" eingerichtet. Dort ist
auch das Gespannfahren mit den erbeuteten Schlittenhunden geübt worden, welche der Trupp
"Holzauge" mitgebracht hatte.
Im September 1943 landen das Wetterschiff "Garl J. Busch" und U 355 den
Wettertrupp "Kreuzritter' auf Spitzbergen. Korv. Kpt Günter La Baume, der im
September eine landfeste Automatik-Station auf der nördlichen Bäreninsel abgesetzt
hatte, war am 2. Oktober 1943 mit fünf Zivilisten und zwei Hunden des Wettertrupps
ausgelaufen. Während die "Busch"-Besatzung und sechs weitere Wettermänner ab
7. Oktober in der Lifde-Bucht die Station einrichten, unternimmt U 355 bis 16. 10.
Erkundungsfahrten längs der Küste.
Wegen der meteorologischen Wichtigkeit Grönlands wird nun das Wetterschiff
"Coburg" dorthin geschickt, Auftrag: Einrichtung der Station
"Baßgeiger" auf Germania-Land. Anfang September 1943 sprengt sich das Schiff in
den Eisgürtel hinein, wird jedoch von der Eisdrift des Grönlandstroms erlaßt. Wegen der
hoffnungslosen Lage erhält die "Coburg" den Befehl, "Baßgeiger" als
Driftstation zu betreiben. Doch überraschend kommt man frei und kann Mitte Oktober am
festen Küsteneis anlegen. Der regelmäßige Wetterdienst an Bord der "Coburg"
beginnt.
Doch der 18. November macht alle Planung zunichte: Ein schwerer Sturm schiebt das
Wetterschiff auf einen Eiswall, ein großer Teil der Ausrüstung geht verloren. Nunmehr
richten sich die Wetterdienstler eine landfeste Station auf der Insel Shannon ein - zur
Tarnung gegen Aufklärer in einer Schneewächte. Doch am 22. April 1944 greift der Krieg
nach "Baßgeiger": Eine dänische Schlitten patrouille überrascht die
Deutschen, Lt Röder fällt. In den folgenden Wochen umschleichen sich die Spähtrupps
beider Parteien, aber es kommt nicht mehr zu Schießereien. Die beschädigte
"Coburg" wird im Mai 1944 gesprengt. Im Juni holt ein Langstreckenflugzeug den
26köpfigen Trupp schließlich zurück nach Norwegen. Die Bodenmessungen waren lückenlos
gemacht worden, sogar während der Stürme und am Tag des Angriffs. Sondenaufstiege waren
jedoch wegen der Materialverluste nicht möglich gewesen.
Zur gleichen Zeit wie "Kreuzritter" auf Spitzbergen und "Baßgeiger"
auf Grönland ist 1943/44 auf der Insel Hopen, südöstlich von Spitzbergen, die
Luftwaffenstation "Svartisen" mit Dr. Neunteufl tätig. Zur Vorbereitung war alt
zS Brünner, der gerade am 23. 7. 43 die Wetterboje 106 nordwestlich der Lofoten
aussetzte, zur Insel Hopen zwecks Erkundung eventuell besetzter Hütten beordert worden.
Dicht unter der 35 km langen Küste fahrend, entdeckt U 703 am 25. 7. einen
Schiffbrüchigen, den Kapitän Beljaer, dessen "Dekabrist" am 4. 11. 42 von
deutschen Ju 88 gebombt worden war. Vom 7563 BRT großen russischen Einzelfahrer konnten
etwa 30 Seeleute in die Rettungsboote gehen, von denen einige Hopen erreichten, später
aber entkräftet starben. In einer nördlicher gelegenen Hütte der nur 4 km breiten Insel
werden noch zwei Russen und eine Frau, die Ärztin Nadezda M. Matalic, entdeckt. Sie
erhalten an Bord reichlich Verpflegung, Medizin und sonstige Hilfsmittel und rudern in
ihrem Dingi zur Hütte zurück, da U 703 während seiner weiteren Unternehmungen zum
Aussetzen der Wetterboje 107 nördlich Murmansk keinen Platz hat. Der russische Kapitän
erlebt an Bord des U-Bootes die Torpedierung eines Bewachers an der Westküste der
Südinsel von Nowaja Semlja, Wabo-Verfolgung und zahlreiche Alarmtauchen mit und wird gut
erholt in Narvik dem Gefangenenlager übergeben.
Nach siebenwöchiger Feindfahrt in der Kara-See erhält U-Brünner den Befehl, auf dem
Rückmarsch die restlichen Russen von Hopen abzubergen. Am 7. 10. werden die drei
Schiffbrüchigen an Bord genommen, von denen einer vollkommen entkräftet Stunden später
verstirbt und nach Seemannsart bestattet wird. Bereits am 27. 10., also drei Wochen nach
der Räumung, werden der vier Mann starke Wettertrupp "Svartisen" dort
angelandet. Die halbe Besatzung von U 354 transportiert zwei Tage lang die umfangreiche
Ausrüstung mit Schlauchbooten an die Küste. Durch hüfttiefen Eisschlamm watend müssen
die durchnäßten Männer immer wieder zum Auftauen und Trocknen an Bord geholt werden
oder erleben bange Stunden auf der Insel, wenn wegen Fliegeralarms ihr U-Boot taucht oder
abläuft.
Durch angriffslustige Eisbären entstehen mehrfach bedrohliche Situationen während des
Anlandens und Weitertransports zur Station. Die Schutzhütte, in der der russische
Kapitän schon neun Monate gehaust hatte, wird nun für ein knappes Jahr für die vier
Wettertruppler Zuflucht und Gefängnis zugleich. Aus der Luft versorgt, werden sie am 20.
7. 1944 schließlich wieder abgeholt.
Im August 1943 brachte WBS 6 den Wettertrupp "Schatzgräber" zum Alexandra-Land,
wo das Lager in der Großen Cambridge Bay entstand. Den Winter hindurch konnte die Station
fast regelmäßig
die Wettermeldungen absetzen. Dosengemüses und -fleisches überdrüssig, wurde den
Männern der Genuß trichinösen Bärenfleisches zum Verhängnis. Alle Mitglieder der
Expedition erkrankten. Gefährliche Szenen spielten sich ab, als die Krankheit zu wilden
Aggressionen führte. Insbesondere der Leiter W. Drees war schwer nervenkrank. Auf den
Notruf hin, soll U 354 ärztliche Hilfe bringen, kann aber wegen dichten Packeises
Franz-Josef-Land nicht erreichen. Schließlich kommt Anfang Juli 1944 eine FW 200, setzt
aber nicht befehlsgemäß den Arzt per Fallschirm ab, sondern landet selbst: Radbruch im
unebenen Gelände! Erneuter Notruf. Aus der Luft abgeworfene Ersatzteile ermöglichen der
Bordbesatzung unter primitivsten Voraussetzungen die Instandsetzung des Fahrwerkes. Mit
den erkrankten Wetterleuten an Bord, alle nicht erforderliche Ausrüstung zurücklassend,
wagt OLt Stahnke den Start. Mit rasenden Motoren jagt die Maschine über das kurze, mit
Geröllbrocken übersäte Rollfeld. Der Start gelingt, und am 11. Juli 1944 kehrt das
Flugzeug wohlbehalten nach Norwegen zurück. Alle Wetterleute kamen dann nach Oslo in das
Lazarett und wurden hier ausgeheilt. Die auf Alexandra-Land verbliebene Ausrüstung holte
U 387 (KptLt Buchler) im Oktober 1944 ab. Ab 1944 setzt die Marineführung verstärkt
U-Boote als Wettermelder ein. Insgesamt werden bis Kriegsende 51 U-Boote für diese
Aufgabe verwendet; fünf gehen dabei verloren. Die Grönland-Position soll durch den
Wettertrupp "Edelweiß" wieder besetzt we.rden. Leiter ist Dr. Weiss. Am 1.
September 1944 liegt das Wetterschiff
"Kehdingen" dort an der Eiskante, als ein fremdes Schiff aufkommt. Sofort sucht
man einen Fluchtweg durch das Eis, aber nach einer Jagd über 70 Meilen kommt das Schiff
fest. Es wird gesprengt, und die WetterdienstIer gehen auf dem verfolgenden
Küstenwachschiff "Northland" in Gefangenschaft. Nach diesem Fehlschlag wird
umgehend ein anderer Trupp nach Grönland beordert, Codename: "Edelweiß 11".
Anfang Oktober 1944 landet das moderne Wetterschiff "Externsteine" das
Unternehmen auf der Insel Lilie Koldewey, Leiter Dr. K. Schmidt, militärischer Führer Lt
Allewecht. Doch die Luftaufklärung erfaßt den Stationsplatz sofort - geleitet von
Hinweisen aus der Funkaufklärung. Das Ende ist damit eine Sache von 38 Stunden: In der
Frühe des 4. Oktober ergeben sich die Wettertruppler einem weit überlegenen Kommando des
Küstenwachschiffes "Eastwind". Die im Eis eingekeilte "Externsteine"
wird am 16. Oktober 1944 von der "Eastwind" aufgebracht. Die beiden
"Edelweiß"-Unternehmen haben gezeigt, daß Küstenstationen auf Grönland nicht
mehr denkbar sind. Ein neuer Vorschlag ist deshalb, Stationen auf dem Inlandeis
einzugraben und per Flugzeug zu versorgen - eine Idee, die angesichts der Kriegslage keine
Chance mehr hat.
Die Alternative ist das Unternehmen "Zugvogel": Von Oktober 1944 bis Januar 1945
meldet das Wetterschiff "Wuppertal" regelmäßig aus der Grönlandsee. Seither
ist es in einem der Winterstürme verschollen, mit ihm der Leiter Inspektor Hofmann. 1944
müssen die Wetterflüge wegen Treibstoffmangels eingestellt werden. Zum Ausgleich läßt
die Luftwaffe daher im Herbst drei Stationen durch U-Boote einrichten: Helhus, Taget und
Landvik. Zur Vorbereitung "Taget" hatte Kptlt Vogler mit U 212 im Juli 1944 die
Nordostküste der Bäreninsel mit der feindlichen Wetterfunkstelle bei Tunheim
aufzuklären, fand sie nach Luftangriff unbesetzt und zerstörte mit Landungstrupp
restliche Geräte, Bauten und Funkmast. Der Wettertrupp "Taget" war dort bis
April 1945 in Betrieb.
Die neben "Helhus" dritte Lw-Station "Landvik" hat U 365 unter
Kommando von Kptlt Haimer Wedemeyer im Oktober 1944 auf Südspitzbergen gelandet. An der
Pier des Seefliegerhorstes Tromsö, Kommandeur Oberstleutnant von Bredow, wird das für
ein Jahr berechnete Stationsgut an Bord genommen. Im letzten Augenblick kommen zwei
Norweger und ein deutscher Leutnant, der das Wetterunternehmen von Oslo aus vorbereitet
hat, an Bord. In der Sturmbucht werden im Schlauchboot-Pendelverkehr 10 t Last an Land
gebracht und die Hütte gebaut. Es kann nur nachts gearbeitet werden, wobei die gesamte
Besatzung eingesetzt ist und die beim Ausladen im eiskalten Gletscherwasser durchnäßten
Soldaten ständig zum Trocknen abgelöst werden müssen. Die beiden Norweger, ein Älterer
aus Tromsö und sein jüngerer Freund, haben bis Kriegsende die Station
"Landvik" gehalten. Als Kollaborateure mußten sie anschließend für zwei Jahre
in ein norwegisches Umerziehungslager.
Wettertrupp Haudegen
Auch die Marine besetzt die Spitzbergenstation im September 1944 neu. Das Wetterschiff
"Garl J. Busch" und U 307 bringen den Wettertrupp "Haudegen" nach
Nordostland, der ab Anfang Dezember seine Wetterdaten sendet. Daneben stellt der
Operationsbefehl frei, auch zivile Forschung zu betreiben; so geht man
geologisch-morphologischen, mikroklimatischen, glaziologischen, erdmagnetischen und
biologischen Studien nach: Brücke zur Friedenszeit. Anfang März 1945 fragt die
Marineführung an, ob eine weitere Überwinterung bis 1946 möglich sei: der Wettertrupp
ist bereit. Dr. Wilhelm Dege, der vor dem Kriege drei private Spitzbergen-Expeditionen
unternommen hatte, war vom Chef des Marine-Wetterdienstes, Admiral Dr. Conrad, zum Leiter
"Haudegen" ausersehen worden, wurde im Riesengebirge auf "Gold höhe"
ausgebildet, lernte auf der von Inspektor R. Knoespel eingerichteten und nunmehr von Dr.
G. Weiss geleiteten Ausbildungsstätte an der Schneekoppe die neuesten Arktiserfahrungen
kennen. Skilauf, Hundeschlitten, Kocnen, Backen, Verwundetenbehandlung, Bau von
Schneehütten, Lastentransporte auf dem Rücken, Gebrauch von Jagdwaffen und
Ortsbestimmung auf Reisen wurden eingehend geübt. Im gegenseitigen Kennenlernen unter
strapaziösen Bedingungen wuchsen die zukünftigen Stationsmitglieder zusammen:
Stellvertreter Dr. Rieche, der bereits an der vorigen Spitzbergen-Expedition teilgenommen
hatte, Radiosondendienst W. Maass, synoptischer Wetterdienst A. Baumann,
Funkstationsleiter: Obermaat H. Ehrich, die Funkgasten: H. Semkat, H. Schneider, W.
Schlösser, Siegfried Czapka, H. Grams, G. Scheidweiler und der Lagerdienst J. Reyer. Als
Ausrüstung war Proviant, Benzin und Petroleum für 18 Monate vorgesehen, so daß unter
Ausnutzung von Jagdbeute zwei Jahre Aufenthalt durchaus möglich war.
1800 Gepäckstücke im Gewicht von 80000 kg mit rund 3000 verschiedenen Artikeln im Wert
von 1,25 Mio. Markwurden verladen. In Narvik übernahm U-Stahmer das Hauptdepot, lief als
Geleitboot voraus, geriet in einen Geleitzugkampf, versenkte einen Hilfsftugzeugträger
und ging am 24. August selbst verloren. U 354 Totalverlust auf 74 Nord / 15 Ost. Aus den
Arsenalen in Tromsö mußte Ersatz beschafft werden und als Geleit-U-Boot wurde nun U 307,
Oberleutnant Herrle, bestimmt.
An der Ostküste Spitzbergens vorbei, erreicht der Verband den inneren Rijp-Fjord und
beginnt ab dem 15. September, das Lager zu errichten. Besondere Anforderungen stellte die
Anlandung der 50 Fässer Öl/Benzin mit ihren jeweils 250 kg Gewicht dar. Nach Errichtung
des Lagerhauses und Aufbau von Ausweichpunkten verlassen U 307 und "Busch" die
Überwinterer. Die Männer richten eine Sauna ein, dürfen wegen stets drohender
Überfälle durch Eisbären nur zu zweit mit Karabiner bewaffnet zum WC gehen und
gewöhnen sich an die 126 Tage Polarnacht.
Das tägliche Auflassen eines Ballons mit Radiosonde ist bei den herrschenden Starkwinden
stets eine atemberaubende Aktion, mußte doch aus einem Wasserstoffentwicklungsapparat bei
180 bis 250 Atü der wild tanzende Ballon oft mit sieben Mann gehalten werden.
Frischfleischbeschaffung, Holzsammeln, Wachdienst und ständiger Wetterdienst bei Tag und
Nacht halten die Stationsbesatzung in Trab. Mehr als 800 verschlüsselte Funksprüche
werden bis zum Frühjahr abgegeben. Am 24. April 1945 wird nach Flugzeuglandemöglichkeit
angefragt, um Nachschub für eine weitere Überwinterung zu liefern. Doch dann kam für
die einsamen Männer wie ein Hammerschlag die Kapitulationsmeldung.
Ende des Auftrages
Vom 7. Mai 1943 an werden nun die Wettermeldungen unverschlüsselt
abgegeben, die Tarnung wird entfernt und der militärische Postendienst eingezogen. Die in
einem dreiwöchigen Lehrgang durch Gebirgsjäger im Wildspitzgebiet auf Höhen um 3000 m
im winterlichen Gebirgskampf ausgebildeten Männer sprengen nun auch die vorbereitete
Verteidigungslinie mit den ausgelegten Minen. Alliierte Siegesmeldungen, oft phantastisch
übertrieben, überfluten die Wettermelder, die noch dazu weder über ihre Angehörigen
noch über ihre nächste Zukunft Bescheid erhalten. Der lähmenden Ungewißheit begegnet
man mit forcierten Wissenschaftsprogrammen und erkundet auf Schlitten reisen bisher
unbekanntes Gebiet. Die Monate vergehen, der August bringt erste Schneestürme. Endlich
die Meldung: "Norwegischer Robbenfänger ,Blaasei' holt 3. September Wettertrupp
ab". Im Logis der sieben Norweger hausen nun auf engstem Raum einschließlich der
Deutschen 18 Menschen in steifem Eismeermief. Nach Sturmtagen läuft die
"BIaasei" am 13. September in Tromsö ein. Die Deutschen werden sofort ins
Gefängnis gesperrt, ihre Gepäckstücke geplündert. So gehen die erdmagnetischen
Arbeiten, die Karte mit den eingezeichneten Lotreihen und alle 20 Leica-Filme des
Stationsleiters verloren.
Nach Tage langen Verhören erfolgt die Uberstellung in das deutsche Gefangenenlager. Im
Beisein alliierter Offiziere und aller Internierten meidet Dr. Dege dem deutschen
Befehlshaber den Wettertrupp aus Spitzbergen zurück, ein beeindruckendes militärisches
Zeremoniell der vorletzten deutschen Einheit, denn eine weitere konnte sich bis 1949 (!)
halten Deren bärtige Gestalten besaßen übrigens schon damals einen legendären Ruf.
Eine kanadische Elitekompanie war 1944 in Island unter schwersten Klima- und
Geländeverhältnissen auf den Arktiskrieg gedrillt worden, mit dem besonderen Zweck, die
"Haudegen"-Leute auf Spitzbergen auszuheben. Hatten sich beim Hinmarsch bereits
zwei Flugzeugträger im Seegebiet Nordkap-Spitzbergen aufgehalten und mindestens sechs
Zerstörer zwischen Eis-Fjord und Südspitze Spitzbergens patrouilliert, um das
"Haudegen"-Geleit abzufangen, so wurden im Frühjahr 1945 sogar Funksprüche
abgehört: "Euch Schweine kriegen wir auch noch!" Um so größer ist die
Leistung der von der Welt gänzlich abgeschiedenen Männer zu bewerten, die nicht nur ein
Jahr lang den Wetterdienst unter arktischen Verhältnissen abwickelten, sondern auch bei
Tag und Nacht militärischen Wachpostendienst versahen.
Von Hans Ney, Fk aD (Bw)
mit freundl. Genehmigung der Reaktion der Zeitschrift Kameraden